Ich habe keine Angst mehr vor der Angst

Oft messen und definieren wir unseren Wert über unsere Ausbildung oder den Job, den wir ausüben. Talente, persönliche Stärken und Erfahrungen, welche kein Geld einbringen, zählen in unserer Gesellschaft leider vernichtend wenig.

Deshalb habe ich mir nun selbst den Titel «Angst- und Zwangsexpertin mit Erfahrung aus erster Hand» verliehen – den habe ich mir nämlich hart verdient. Schliesslich habe ich viel Lebenszeit in die Erforschung von Ängsten und Zwängen investiert und nein, ich habe nicht nur die Theorie studiert, sondern auch ein langes Praktikum absolviert. Es ist nicht eine Ausbildung mit eidgenössischem Diplom, sondern eine Real-Life-Auseinandersetzung mit der eigenen Psyche.

Würde es diese Ausbildung effektiv geben, hätte ich mich freiwillig angemeldet? Wohl eher nicht – aber heute weiss ich, dass es Ängste, Zwänge und sonstige psychische Störungen oft gut mit uns meinen und uns auf ein Ungleichgewicht in unserem Leben aufmerksam machen wollen. Oft hätte ich die «Ausbildung» am liebsten abgebrochen – da es aber «real-life» war, war ein Ausstieg keine Option. Ich habe erfahren und akzeptiert, dass Real-Life-Ausbildungen nicht immer ein Zuckerschlecken sind – sollten wir uns also nicht genau für die Herausforderungen, welche uns das tagtägliche Leben stellt und wir erfolgreich meistern, regelmässig symbolisch ein Diplom überreichen oder uns zumindest auf die Schulter klopfen und uns mit dieser Geste selbst wertschätzen?

Lange habe ich die Sprache meiner übersteigerten Angst nicht verstehen können und habe sie nur als belastend, gemein, mühsam und auslaugend erlebt. Heute hat sich meine übersteigerte Angst zurückgezogen, weil ich ihr zugehört und sie ausgiebig studiert habe. Ich konnte der Angst glaubwürdig versichern, dass ich ihre Botschaft verstanden habe und ich bereit bin, anzunehmen, was hinter der Angstfassade auf mich wartet.

 

Als Angst- und Zwangsexpertin mit Erfahrung aus erster Hand habe ich gelernt, wie es ist, wenn... 

… die Gedanken endlos kreisen und der Kopf zu explodieren droht

… der Körper angespannt ist, weil die Angst überhandnimmt

… der Körper mit Symptomen auf die Angst reagiert

… die Ängste das Atmen erschweren

… man sich selbst verurteilt, da man weiss, dass die Gedanken/Handlungen unsinnig sind

… man gewisse Dinge aus Angst nicht (mehr) tun kann und sich dafür schämt

… man die Ängste verheimlichen (muss) will, weil man sich dafür schämt

… man viel Zeit in die Entwicklung von Vermeidungsstrategien investiert

… man die Ängste mit dem Verstand überlisten will und es nicht gelingt

… man nicht das leben kann, was man eigentlich möchte

… man nur noch funktioniert

… man das Gefühl hat, es kommt nie mehr gut und man ist ausgeliefert

… die Ängste die Lebensfreude fressen

… die Ängste die eigene Kreativität blockieren

… man gefühlsmässig nicht mehr im Körper ist und sich fremdgesteuert fühlt

… sich alles nur noch um die Angst dreht und schlafen zur Flucht wird

… man nur noch sich selbst vertraut, weil alles andere unsicher erscheint

 

Nach erfolgreich abgeschlossenen Real-Life-Ausbildung habe ich erfahren, dass …….

 

… es möglich ist, die Ängste zu überwinden

… wir unser Gehirn umprogrammieren können

… man den Ängsten nicht ausgeliefert ist

… uns die Ängste beschützen wollen

… uns die Ängste auf ein Ungleichgewicht in unserem Leben aufmerksam machen wollen

… Ängste keine Schwäche sind

… Ängste nicht tabuisiert werden müssen

 

Ja, ich kann sogar sagen, dass die Angst mein Leben bereichert hat, weil dank ihr, habe ich zu mir selbst gefunden und komme ich einmal vom Weg ab, steht die Angst in Sichtweite und weist mir freundlich den Weg, aber ich habe keine Angst mehr vor der Angst, weil ich weiss, sie meint es nur gut mit mir und ich verstehe ihre Sprache.